Angst vor Mozart?

András Schiff, 1953 in Budapest geboren, ist einer der bedeutenden Pianisten unserer Zeit. Er gibt Soloabende in allen großen Musikstädten der Welt, er tritt mit den renommiertesten Orchestern auf, manchmal in der Doppelrolle als Solist und Dirigent. In kurzer Zeit hat sich Schiff ein immenses Repertoire erarbeitet, in dem die Werke von Bach, Mozart und Schubert den Schwerpunkt bilden. „Gute Musik macht die Menschen besser“, sagt er.

Wir veröffentlichen das Interview mit freundlicher Genehmigung von NZZ FOLIO


András Schiff, lassen Sie uns über Ihre Anfänge reden.

Meine Kindheit war sehr glücklich.

Mit fünf hatten Sie Klavierunterricht.

Ich war damals sehr schlimm, und das Klavier sollte mich zähmen. Ein Wunderkind war ich nie, sondern ich habe ganz normal eine halbe Stunde Klavier und viel mehr Fußball gespielt, beides hat mir große Freude gemacht. Natürlich war eine Musikalität da, meine Mutter hat gesagt, ich habe gesungen, ehe ich sprach.

Und wann wußten Sie, daß aus Ihnen ein Pianist wird?

So mit elf, zwölf Jahren wollte ich das im Ernst machen, fürs Leben, da war auch klar, daß eine halbe Stunde pro Tag nicht mehr reicht. Aber das hat mir niemand gesagt, ich habe das selber entdeckt. Da bin ich meiner Mutter, mein Vater starb schon früh, sehr dankbar. Sie hat mich nie forciert.

Wie war das erste Mal vor Publikum?

Da waren öfter kleine Auftritte, auch im Fernsehen, genau kann ich mich nicht erinnern. Ich bin kein Exhibitionist, aber vor Publikum habe ich mich immer wohl gefühlt. Das ist auch heute noch so. Vor Publikum spiele ich viel besser. Man entdeckt etwas, und dann möchte ich das teilen mit anderen: Schau mal, wie schön!

Wie üben Sie? Fingerübungen und so?

Nie. Das hasse ich, das ist menschenunwürdig. Ich spiele zuerst immer etwas Bach, das bewegt meine Finger, die Muskulatur, alles, und es befriedigt mich emotional und intellektuell. Eine künstlerische Tätigkeit würde ich nie vom Spirituellen getrennt beschreiben. Das wäre Verrat.

Verdirbt einen schlechte Musik?

Ich reagiere auf manche Musik sehr negativ. Als Kind hat mir meine Mutter ein Opernabonnement geschenkt, da wurden eine Serie Mozart und eine Serie Wagner gegeben. Bei Mozart war ich im siebten Himmel, bei Wagner mußte man mich in der Pause jeweils nach Hause tragen, ich war physisch kaputt. Weiß Gott, eine geniale Musik, aber ich höre den Charakter in den Tönen. Ein ekelhafter Mensch, der zugleich ein wunderbarer Künstler ist – das gibt es für mich nicht. Die Musik von Richard Strauss stört mich auch sehr. Sie ist gut geschrieben, aber ich finde sie so plakativ und überflüssig für die heutige Zeit, wirklich antiquiert. Ich will das nicht mehr hören.

Und die zeitgenössische Musik?

Beim Jazz gibt es sehr Gutes. Beim Pop gibt es sicher gute Musik, aber ob es auch große gibt? Es wird heute sehr viel mit Lautstärke gemacht, man verliert das Ohr für die feinen Töne. Allgemein ist unsere Zeit prosaisch, überhaupt nicht poetisch und nicht heroisch. Uns kann nichts rühren, vieles ist Sentimentalität. Und um jeden Preis will man Kunst für die Millionen machen, das Resultat ist schlechte Kunst: die drei Tenöre. Auch gute Künstler gehen heute in den Crossover, sie spielen dann am Broadway oder Tango. Ich liebe Tango, aber warum muß ich jetzt Piazzolla von klassischen Künstlern hören oder Mozart von Keith Jarrett? Warum denken die Leute, daß sie alles können?

Wie wählen Sie aus, womit Sie sich beschäftigen?

Als Interpret ist es meine Aufgabe, zwischen dem Komponisten und dem Publikum zu vermitteln, ich darf nicht im Vordergrund sein, aber ich will mich auch nicht aufgeben. Ich muß also sehr darauf achten, zu welchen Werken ich eine natürliche Affinität habe. Um das herauszufinden, muß ich viel allein sein, obwohl ich die Einsamkeit nicht besonders mag.

Was mögen Sie denn so an Mozart?

Mozart ist ein solches Wunder und zu interpretieren das Schwierigste, was es gibt. Ich habe fast Angst vor ihm. Wenn man zuviel macht, revoltiert er sofort, man wird zum Idioten.

Wie nähern Sie sich einem neuen Werk?

Wenn es eine Uraufführung ist, muß ich ganz offen sein. Ich lese zuerst nur die Noten. Ganz langsam gehe ich zum Instrument über. Bei einem schon bekannten Werk gibt es natürlich die Last der Tradition. Wie wurde es von anderen interpretiert? Wie steht es zu anderen Werken desselben Komponisten, wie zu Komponisten der Zeit und zur Kunst und so weiter, das hört nie auf. Was mich auch inspiriert, ist die Notenhandschrift. Bach zum Beispiel schrieb so schöne Wellen. So ist auch seine Musik. Sie strömt.

Gibt es Werke, die Sie heute anders spielen würden als früher?

Die Zeit arbeitet immer. Eine Beethoven-Sonate nach einem Jahr, da sind nur die Noten da, Musik ist das noch nicht. Und es gibt Werke, die man als junger Mensch gar nicht begreifen kann. Für die späten Beethoven-Sonaten warte ich bis mindestens fünfzig.

Dann freuen Sie sich aufs Älterwerden?

Ja, sehr.

Das Gespräch führte Ursula von Arx