Eine überfällige Schuld ist abzutragen

Im Wortlaut. Die folgende „persönliche Stellungnahme von Lyndon LaRouche zu Musik, Judentum und Hitler“ erschien am 6. September, dem Geburtstag des Philosophen Moses Mendelssohn.


Was die Opfer des Nazi-Holocaust gegen die Juden Deutschlands, Polens und anderer Staaten angeht, so ist eine überfällige Schuld abzutragen. Ich lege hiermit die „Rechnung“ vor, um die Begleichung dieser Schuld einzufordern.

Die großartigsten Beiträge von Juden zur europäischen Zivilisation stammten aus der Bewegung, die durch das Schaffen eines der hervorragenden Genies der neuzeitlichen europäischen Zivilisation im weiteren Sinne ausgelöst wurde: Moses Mendelssohn. Moses Mendelssohn war nicht nur ein Jude, der etwas zur modernen Zivilisation beitrug; er war ein führender, integraler Teil jener Revolution des ausgehenden 18. Jahrhunderts, ohne die es keine moderne europäische Wissenschaft, keine moderne klassische Musik oder andere Kunst gegeben hätte, und ohne sie wäre auch die amerikanische Verfassung nicht möglich gewesen.

Mendelssohn spielte nicht nur als Deutscher eine führende Rolle bei der Errichtung des modernen Deutschland und der modernen europäischen Zivilisation, die im 18. Jahrhundert ihren Anfang nahm; als Deutscher jüdisch-orthodoxen Glaubens befreite er die Deutschen – wie Martin Luther King in unserem Jahrhundert die Amerikaner –, die dadurch Teil eines ökumenischen, von Vernunft regierten Rechtssystems wurden. Dabei mobilisierte er die deutschen Juden sowie indirekt auch die jiddische Renaissance in Polen, der Ukraine und Rußland, die wiederum selbst zur modernen Zivilisation in einem Umfang beitrug, der ihren Anteil an der Bevölkerung, der sie angehörten, um ein Vielfaches überstieg.

Dieser deutsche Jude, ergänzt durch die Kräfte der jiddischen Renaissance, ist Ausdruck des jüdischen Wesens: In der „Gleichzeitigkeit der Ewigkeit“ hinterließ die jiddische Renaissance Deutschlands und Osteuropas der Nachwelt kostbare Gaben, denen sich die Nachwelt liebevoll zuwenden muß, wann immer der Name „Jude“ ausgesprochen wird. Jeder Christ, der das Erbe des Augustinus trägt, muß dem zustimmen. Den Adolf Hitler so verhaßten Juden den Anspruch auf diese Ehre abzusprechen, bedeutete, diejenigen, die gelitten haben, praktisch einem zweiten Holocaust auszuliefern – einem Holocaust des Totschweigens, der darauf hinausliefe, diesen Millionen Opfern ihre Existenz außer als einer Masse namenloser Toter abzusprechen.

Was damit gemeint ist, läßt sich besonders nachdrücklich an einem wichtigen Aspekt der Arbeit Moses Mendelssohns und seiner Familie in Deutschland und Österreich auf dem Gebiet der Musik aufzeigen. Alles, was wir heute von Johann Sebastian Bach und in dessen direkter Tradition stehenden Komponisten wie Wolfgang Amadeus Mozart, Ludwig van Beethoven, Franz Schubert, Johannes Brahms und anderen kennen, geht auf das aktive Eingreifen der erweiterten Familie Mendelssohn zurück, die Bachs Werk der Vergessenheit entriß und zudem mit den größten Komponisten des späten 18. und 19. Jahrhunderts eng zusammenarbeitete.

Als beispielsweise Felix Mendelssohns Freund Robert Schumann den Bruder von Franz Schubert besuchte, überreichte dieser Schumann die Handschrift der großen C-Dur-Symphonie – Schuberts „Neunter“. Schumann übergab die Urschrift Felix Mendelssohn, dem Enkel Moses Mendelssohns, der das Werk uraufführte. Was die Philosophie von Poesie und Komposition angeht, war Schubert wie auch Beethoven ein Anhänger Schillers, den sie eindeutig Goethe vorzogen. Schubert wie auch Mozart war in musikalischer und anderer Hinsicht eng mit der Familie Mendelssohn verbunden. So schrieb Schubert wichtige Stücke, worin die Musik der jüdischen Liturgie weiterentwickelt wurde. Zuvor stand Mozart unter dem Schutz des österreichischen Kaisers Joseph II., der als einer der ersten in Europa den Juden politische Bürgerrechte eingeräumt hatte. Es gibt praktisch keinen Bereich großer literarischer und musikalischer Kultur in der deutschsprachigen Welt, zu dem die erweiterte Familie Mendelssohn nichts beigetragen hätte.

Betrachtet man sich die Namen der führenden Musiker des 19. und frühen 20. Jahrhunderts, fällt auch hier der unverhältnismäßig hohe Anteil herausragender deutschjüdischer Künstler auf. Oder denken wir an die Geigertradition des Beethoven-Freundes Böhm und das Erbe der Geigerschule von Böhm, Joseph Joachim und Carl Flesch, die über 200 Jahre hinweg maßgeblichen Einfluß auf die Meisterschaft in der Musik ausübte. Belegt man Hitlers Versuch, die Beiträge dieser Juden aus dem Gedächtnis Europas zu vertilgen, mit Schweigen, ermordet man die Opfer in einem zweiten Holocaust – einem Holocaust des Verschweigens – und läßt den Eindruck entstehen, als hätte es sie nie gegeben.

Gleiches gilt für die deutschen Beiträge zur modernen Wissenschaft, wobei man sich besonders die Namen der deutschen Wissenschaftler vor Hitler ansehen muß. Es war das Erbe Gotthold Ephraim Lessings und Moses Mendelssohns, die nicht nur das Kompositionsprinzip Bachs, sondern auch das Vernunftprinzip in der Wissenschaft selbst vor der Sterilität der „Aufklärung“ verteidigten. Daraus entstanden die wissenschaftlichen Leistungen eines Carl Friedrich Gauß und anderer – nicht zu vergessen solche Wirtschaftspioniere wie AEG-Gründer Emil und dessen Sohn Walter Rathenau.

Selbst der deutsche Generalstab verdankt seine Entstehung ganz wesentlich Moses Mendelssohn, mit dem sich Graf Wilhelm von Schaumburg-Lippe über die Inhalte eines Ausbildungsprogramms beriet, aus dem dann der große Gerhard Scharnhorst hervorging. Und es war der Rat Mendelssohns, der zur Entwicklung der „Auftragstaktik“ führte, die den Grundstein für die Überlegenheit des deutschen Militärs bis zum Zweiten Weltkrieg legte.
versagte, als es darum ging, Hitler zu stoppen, solange dies in der entscheidenden Phase zwischen 1932–33 noch möglich gewesen wäre. Es versagte gemessen an dem hohen Standard, den Scharnhorst und andere Militärreformer der Zeit zwischen 1806–1813 gesetzt hatten. Sie handelten noch nach moralischen Grundsätzen, welche die deutsche Militärführung 1932–33 nicht mehr erfüllte.

Ganz ähnlich müssen wir das Erbe der jiddischen Renaissance in Osteuropa betrachten.

Wir dürfen nicht zulassen, daß 2000 Jahre jüdischen Lebens in Europa unter einem gesichtslosen steinernen Mahnmal begraben werden, das nur an die 13 Jahre des Hitler-Holocaust erinnert. Sollen wir uns an die lebenden Menschen und ihre Leistungen erinnern, oder stattdessen nur an die Unmenschen, die sie quälten und ermordeten? Was für eine Gerechtigkeit ist das für die Märtyrer?

Wenn man tatsächlich alle wesentlichen Faktoren berücksichtigt, muß man sagen, ein freies und vereinigtes Deutschland wäre niemals ohne die entscheidende Rolle dieser deutschen Juden, die den Spuren Moses Mendelssohns folgten, entstanden.

Deutschland wird sich nie wirklich vom Erbe der Verbrechen Hitlers befreien können, wenn besonders die Beiträge der deutschen Juden nicht als integraler Bestandteil der verdienstvollen Geschichte Deutschlands gewürdigt werden. Wie lange soll man in den Vereinigten Staaten noch so tun, als ob die europäischen Juden nur als praktisch namen- und gesichtslose Opfer eines Adolf Hitler existierten?

Ja, Hitler ermordete Millionen Juden, und zahllose andere, aber wie viele liefern diese Opfer heute – im Namen des Holocaust – einem zweiten Holocaust aus, indem sie die Gesichter der Opfer sogar von den Grabsteinen löschen? Das einzige Gegenmittel gegen diese Orgie des Hasses besteht in der liebevollen Achtung für die Kostbarkeit des Lebens dieser Opfer für die Nation, der sie angehörten und für die sie soviel geleistet haben. Gerechtigkeit üben bedeutet, dem Opfer Gerechtigkeit widerfahren zu lassen, das Opfer von Ungerechtigkeit für seine Beiträge zur Gesellschaft und zur Menschheit als ganzer zu ehren, und sogar für das, was sie noch hätten leisten können, wenn sie nicht umgekommen wären! Wenn wir nicht die Gräte des blinden Hasses aus unserer Kehle entfernen und stattdessen das Ansehen der Opfer hochhalten, besteht nirgendwo auf unserem Planeten mehr Aussicht auf Gerechtigkeit.

Mit dem Antritt der neuen Regierung in Israel eröffnet sich erneut die Chance einer gerechten Beilegung des israelisch-palästinensischen Konflikts im Nahen Osten. Ministerpräsident Barak bringt das Erbe Moses Mendelssohns von Europa in den Nahen Osten. Er wird von Kräften innerhalb der Region wie auch von diabolischen „Vermittlern“ von außen bedroht. Seine Bemühungen werden von den Aposteln des Hasses innerhalb Israels und dem Haß auf die Existenz des modernen und früheren Israels, der unter den Palästinensern und anderen Arabern geschürt wurde, untergraben.

In dieser Situation wäre nichts angemessener, als an die Weisheit des großen Moses Mendelssohn zu erinnern, der ein orthodoxer Jude blieb, aber dessen ökumenische Denkweise der Vernunft die einzige Chance für anhaltenden Frieden unter denen bietet, die sich seit Jahrzehnten in erbitterter Feindschaft gegenüberstehen.

Schaut man zurück auf die Zeit zwischen dem Versailler Frieden und der Machtergreifung Hitlers, muß man erkennen, daß wir heute erneut in einen verbreiteten weltweiten Kulturpessimismus eintreten, wie wir ihn seit der kulturpessimistischen Epidemie, die Hitlers Bewegung emporbrachte, nicht mehr erlebt haben. Betrachtet man die Nationen der Welt, so sind die Bevölkerungen auf den tiefsten moralischen Stand seit Ende des Zweiten Weltkrieges herabgesunken.

Das einzige Gegenmittel besteht darin, das Meer des Hasses unter einem Ozean der Liebe zu begraben. Eine solche dringend erforderliche Initiative muß von den Vereinigten Staaten – und besonders von ihrem Präsidenten – ausgehen, die einmal als Ausgangspunkt für eine Prinzipiengemeinschaft aller Menschen gegründet wurden.