China nach 25 Jahren: Optimismus und Entwicklungswille

Die Präsidentin des internationalen Schiller-Instituts Helga Zepp-LaRouche reiste im Mai nach China, um dort an einer Konferenz über die Eurasische Landbrücke teilzunehmen. Es war nicht ihre erste China-Reise. Schon einmal – vor 25 Jahren, inmitten der Wirren und Schrecknisse der maoistischen Kulturrevolution – hatte sie als erste westliche Journalistin das Reich der Mitte besucht. Hier ihr persönlich gehaltener Reisebericht.

Eigentlich sollte es nicht überraschen: Das Bild, das die meisten westlichen Medienberichte und „Studien“ über China malen, hat wenig mit den wirklichen historischen Vorgängen in diesem Land zu tun, das aufgrund seiner Kultur zu den Wiegen der Menschheit gehört. Nach 25 Jahren besuchte ich jetzt die Volksrepublik China zum zweiten Mal, und ich glaube, daß der Vergleich der Situation damals und heute mehr über die Realität im Reich der Mitte, in dem immerhin ein Fünftel der Menschheit lebt, aussagt als die derzeit üblichen Berichte über China.

Als ich China im Sommer 1971 besuchte, war die Kulturrevolution in vollem Gange. Die Viererbande beherrschte die Politik, und die Rotgardisten hatten alles Erdenkliche getan, um die antiken Kulturgüter in roter Farbe zu ertränken. Die Intellektuellen galten als Klassenfeinde, die durch körperliche Arbeit auf dem Lande oder in Kaderschulen umerzogen werden mußten. Zu den stärksten Eindrücken gehörte damals zweifellos die Propaganda und die revolutionäre Peking-Oper, die mit ohrenbetäubender Lautstärke aus den allgegenwärtigen Lautsprechern tönte.

China, das „Anti-Europa“, wie es Leibniz genannt hatte, erlebte eines der finstersten Kapitel seiner fünftausendjährigen Geschichte. Als junge Journalistin war ich einer der ersten westlichen Besucher, die China nach Jahren der Abgeschlossenheit besuchen konnten.

Als ich jetzt Anfang Mai nach Peking zurückkehrte, um an der Konferenz über die Eurasische Landbrücke teilzunehmen, fühlte ich mich in den ersten Tagen wie ein Reisender in einer Zeitmaschine: Peking war kaum wiederzuerkennen. Natürlich hatte ich zuvor zahlreiche Berichte über die erstaunliche wirtschaftliche Entwicklung gelesen und gehört, aber erst der Vergleich erlaubte es mir, den Begriff zu finden, den diese Berichte ausgelassen hatten: Kein Land weltweit hat in den letzen 25 Jahren eine so dramatische Veränderung erfahren, und zwar nicht nur in wirtschaftlicher, sondern ebenso in psychologischer Hinsicht. Der Vergleich zu Deutschland 1945–1970 drängte sich mir auf. Auch wenn China sicherlich noch von kommunistischen Strukturen beherrscht ist, so sind Angst und Paranoia in der Bevölkerung doch weitgehend einem ruhigem Optimismus gewichen, und eine ganz andere Dimension der Kultur des Landes wird neben dem Kommunismus sichtbar.

Eurasische Landbrücke ist chinesische Staatspolitik

Allein der ungeheure Optimismus und Entwicklungswille, der auf dem „Internationalen Symposium zur wirtschaftlichen Entwicklung der Regionen entlang der Euro-asiatischen Landbrücke“ von chinesischer Seite zum Ausdruck kamen, war beeindruckend. Schon das Konferenzthema enthält das von Lyndon LaRouche vorgeschlagene Konzept der „Entwicklungskorridore“, und vor allem mehrere Provinzgouverneure sagten ausdrücklich, das Ziel dieses Programms beschränke sich nicht auf die infrastrukturelle Integration Eurasiens. Man strebe vielmehr an, die inneren und westlichen Regionen Chinas zunächst auf den wirtschaftlichen Stand des entwickelten Ostens des Landes zu bringen und dann auf Weltniveau zu heben. Dieser Gedanke ist das genaue Gegenteil der Politik der Viererbande.

Über die wirtschaftlichen Aspekte hinausgehend erläuterte der Vorsitzende des Symposiums Song Jian, Minister für Wissenschaft und Technologie, den großen zivilisatorischen Bogen, den der Aufbau der Seidenstraße für die damalige Entwicklung der Menschheit seit 2000 Jahren gespannt hat. Als damals, so Song Jian, während der Herrschaft des Kaisers Hanwu aus der Han-Dynastie der erste Landkorridor Europa, Afrika und Asien miteinander verband, und die Kamelkarawanen der Händler die Bergketten überquerten und durch China, Mittelasien, Westasien, Südasien, Europa und Nordafrika reisten, verbreiteten diese Kontakte die Samen der Zivilisation und der Freundschaft entlang der Seidenstraße. Auch heute solle die Neue Eurasische Landbrücke nicht nur als Verkehrsweg, sondern als bedeutende Verbindung für den Austausch von Gütern und Technologie, als Mittel der kulturellen Kommunikation und zur Festigung der Freundschaft zwischen den Völkern Euro-Asiens betrachtet werden.

Der Wert dieses politischen Denkansatzes kann gar nicht hoch genug veranschlagt werden. Der Kontrast zu den bösartigen geopolitischen Thesen Samuel Huntingtons über den angeblich bevorstehenden „Zusammenstoß der Zivilisationen“ ist offensichtlich. Huntington befindet sich auf dem geistigen Niveau der Kulturrevolution: „Laßt die ausländischen Teufel sich gegenseitig umbringen“, lautete damals die Devise der Maoisten und heute die Essenz seiner „Studie“.

Diese Konferenz stellte einen historischen Durchbruch dar, auch wenn die britische Fraktion in der Europäischen Kommission und Sir Leon Brittan insbesondere versuchten, dieses Symposium zu hintertreiben und zu verzögern. Als alle diese Taktiken fehlschlugen, wollten diese Kreise die programmatische Perspektive der Landbrücke zumindest durch Einbindung in die Rahmenbedingungen des Asien-Europa-Gipfels in den Schraubstock britischer Freihandelspolitik zwingen. Aber nunmehr ist mit dem Aufbau der Neuen Eurasischen Landbrücke das Thema auf dem Tisch und wenigstens für China als Regierungspolitik festgeschrieben: Man könnte das Projekt als die Jahrhundertaufgabe des 20. Jahrhunderts bezeichnen – und darf dabei nicht vergessen, daß die britisch dominierte oligarchische Fraktion schon zwei Weltkriege vom Zaun gebrochen hat, um Vergleichbares zu verhindern. Denn seit der Zeit, als der französische Außenminister Hanotaux, Georg von Siemens, Graf Witte in Rußland und Dr. Sun Yat-sen, der Vater des modernen China, daran arbeiteten, ist klar, daß die wirtschaftliche und kulturelle Integration des eurasischen Kontinents den entscheidenden Schritt zur Überwindung des oligarchischen Systems und seiner imperialistischen und kolonialistischen Spielarten darstellt.

Es war den Geopolitikern um Karl Haushofer, Neville Chamberlain und McKinder seit dieser Zeit schmerzlich bewußt, daß eine erfolgreiche wirtschaftliche Zusammenarbeit auf der Grundlage einer Prinzipiengemeinschaft, wie sie sich durch den Bau der Bagdad-Bahn und der Eisenbahnstrecke von Paris über die ostchinesischen Eisenbahnlinien bis nach Wladiwostok zum ersten Mal als reale Möglichkeit abzeichnete, britische Manipulationen im Rahmen der Politik des „Mächtegleichgewichts“ unwirksam machen und das britische Empire in die Bedeutungslosigkeit stürzen würde.

Edward VII. verwandte all seine boshafte Energie darauf, zunächst als Prinz von Wales und dann als König, diese Zusammenarbeit zu untergraben. Dazu bediente er sich zunächst der gegen Deutschland gerichteten britisch-französischen Entente cordiale und dann der Tripelentente mit Rußland, des japanisch-russischen Krieges und schließlich der Balkankriege, bis diese Entwicklung dann im unvermeidlichen Ausbruch des Ersten Weltkrieges kulminierte. Die meisten großen Tragödien des 20. Jahrhunderts einschließlich der beiden Weltkriege waren das Ergebnis dieser Politik.

Und nun, zur Neige des Jahrhunderts, ist China ohne Zweifel das Land, welches mehr als jedes andere den Ausbau der Landbrücke zur Staatspolitik gemacht hat. In diesem Jahr nahm die Regierung den Ausbau der Landbrücke in den 9. Fünfjahresplan und in den Plan für die Langzeitentwicklung bis zum Jahr 2010 auf.

Aber herrscht in China nicht die letzte bedeutende kommunistische Diktatur? Stellt China nicht die größte militärische Bedrohung der Zukunft dar? Hat Lester Brown vom malthusianischen World Watch Institute nicht verkündet, die Größe der chinesischen Bevölkerung sei eine Gefahr für die weltweite Lebensmittelversorgung?

Vielleicht wird das Bild etwas deutlicher, wenn man sich vor Augen führt, daß China wie Deutschland ein Land mit einer sehr reichen Kultur und einer sehr komplexen Geschichte ist. Einige der Probleme sind hausgemacht, d. h. sie folgen aus chinesischen bzw. deutschen philosophischen Strömungen. Andere sind das Ergebnis universeller Konflikte der Geschichte. Aber wenn man die Universalgeschichte als ganze betrachtet, ist letztlich nur entscheidend, ob die Axiome, die das Denken und die Richtung der Politik bestimmen, eine sich entwickelnde Gesellschaft charakterisieren, oder eine, die auf ihren Untergang zusteuert.

Auch wenn es den Leser wahrscheinlich schockieren wird: Von diesem Standpunkt aus betrachtet, läßt der im Vergleich zu vor 30 Jahren fehlende Kulturoptimismus in den USA und der lemminghafte Selbstzerstörungsdrang der Europäer eigentlich nur einen Schluß zu: Der „Westen“, also die USA und Westeuropa, aber auch Rußland befinden sich gegenwärtig auf einem Kurs, der zur eigenen Vernichtung führt. China auf der anderen Seite entwickelt sich in eine Richtung, die auf Aufbau und Überwindung der Rückständigkeit ausgerichtet ist und sogar das Potential hat, ein weiteres Mal in der langen Geschichte Chinas einen universellen Beitrag zu leisten.

China 1971 und 1996

Die zehn Jahre andauernde Kulturrevolution, die ich ausschnittweise im Sommer/Frühherbst 1971 selbst kennenlernen konnte, bestand aus fortgesetzten Wellen öffentlicher Denunzierungen, Verhaftungen, Entführungen und andauernden Terrors gegen Intellektuelle, „Pessimisten“, „Parteifeinde“ und reaktionäre Elemente, die den „Kapitalismus einführen“ wollten. Zunächst Mao Tse-tung persönlich und dann die Viererbande hatten den Rotgardisten – radikalisierten maoistischen Jugendlichen – freie Bahn gegeben, um gegen vermeintliche Abweichler und Klassenfeinde vorzugehen. Kunstschätze des alten China und ausländische Schriftsteller der Weltliteratur galten als gleichermaßen reaktionär und fielen oftmals blindwütiger Zerstörung zum Opfer. Die Verschickung von Wissenschaftlern und hochqualifizierten Arbeitskräften in Arbeitslager und aufs Land bedeutete eine immense Verschwendung produktiver Ressourcen.

Ich hatte damals die Gelegenheit, Schanghai, Tsingtau, Tientsin und Peking zu besuchen und von diesen Städten aus eine ganze Reihe von Exkursionen in die umliegende Umgebung zu unternehmen. Ich besuchte u. a. Industrieanlagen und Manufakturbetriebe, Arbeitersiedlungen, einige der damals berühmten „Kinderpaläste“, mehrere Dörfer, Schulen, Kinderkrippen und Aufführungen der revolutionären Peking-Oper.

In vielen persönlichen Gesprächen berichteten mir die Menschen (vor allem in Schanghai sprachen eine Reihe älterer Chinesen deutsch oder englisch) von ihren Erlebnissen, den Bedingungen, die vor der Gründung der Volksrepublik China geherrscht hatten, und den Verbesserungen, die seitdem eingetreten waren. Dabei kam es vor, daß einem alten Mann oder einer alten Frau die Tränen in die Augen traten.

Das Straßenbild in den Städten wurde von einer riesigen Anzahl von Fahrrädern beherrscht, vielen Rikschas und nur ganz wenigen Autos. Die Ein- oder Zweizimmerwohnungen in den sogenannten Arbeitersiedlungen dienten häufig Familien mit drei Generationen als Unterkunft. Viele Häuser auf dem Lande hatten Lehmböden, und die Beheizung erfolgte durch Öfen, deren Funktion von der Küche bis zur Bettstelle reichte. Elektrizität und fließendes Wasser gab es meistens nicht.

Heute bieten Städte wie Peking oder Schanghai das Bild einer gigantischen Baustelle. Es gibt bereits eine große Menge moderner Bauten: Geschäftszentren, Banken und Wohnsiedlungen. Während der Hauptverkehrszeiten entstehen Staus, die denen anderer Großstädte der Welt in nichts nachstehen. Die Zahl der Autos hat die der Fahrräder hier bei weitem überholt. Viele Straßen in und zwischen den Städten sind ausgebaut und teilweise den modernen Autobahnen Europas vergleichbar.

Investitionen in die Landwirtschaft während der vergangenen Jahre haben zu teilweise beachtlichen Ertragssteigerungen geführt. Auch auf dem Land werden überall Straßen gebaut. Es sind neue Dörfer mit wesentlich besseren Häusern entstanden, die jetzt vielfach mit Zentralheizung und fließendem Wasser ausgestattet sind. Aber der vielleicht aussagekräftigste Unterschied ist der veränderte psychologische Gesamteindruck. Was sich vermittelt, ist eine ruhige Entschlossenheit, nach vorne zu gehen und es auf gar keinen Fall jemals wieder zu solch katastrophalen Entwicklungen wie während der Kulturrevolution kommen zu lassen.

Besinnung auf den Konfuzianismus

Die Erfahrung der extremen Zerstörung während dieser zehn Jahre hat in China eine Erschütterung bewirkt, die vielleicht mit dem Erlebnis des Zusammenbruchs in Deutschland 1945 verglichen werden kann. Manche chinesische Intellektuelle vergleichen die Herrschaft der Viererbande mit der „Führerbande“ der Nazis. Aber während es Deutschland gemäß der Politik der „Umerziehung“ nicht gestattet war, zu den Wurzeln der eigenen positiven Kultur, nämlich der deutschen Klassik, zurückzufinden, sondern statt dessen anglo-amerikanische Werte unbesehen übernommen werden mußten, fand zumindest ein Teil der chinesischen Elite zu den tieferen Grundlagen chinesischer Kultur zurück. Konfuzianisches Denken reflektiert sich heute in vielen Bereichen der Politik.

Konfuzius (551 vor Christus im Südwesten der heutigen Provinz Schandong geboren) lebte selber in einer Zeit des gesellschaftlichen Umbruchs. Er trat den Erscheinungen von Despotie und Willkür seiner Zeit mit einer Morallehre entgegen, deren oberstes Ziel der Aufbau der Gesellschaft aus dem Zustand des Chaos war. Für Konfuzius war die Gesellschaft seiner Zeit vom rechten Wege abgekommen, ohne dao (Weg). Das Abgehen von bisher gültigen Regeln menschlichen Zusammenlebens, der Angriff auf traditionelle Autoritäten, der Verfall der Ordnung – all dem suchte Konfuzius entgegenzuwirken, wobei er eine Übereinstimmung der kosmischen und der menschlichen Ordnung annahm, die durchaus dem platonischen Naturrecht entspricht. „Der Himmel war es, der die sittlichen Kräfte hervorbrachte, die in mir sind“, sagte er. Diese Idee der Entsprechung von himmlischer und irdischer Ordnung ging als bleibende Grundlage in die politische Kultur Chinas ein.

Ein zentraler Begriff des Konfuzianismus war li; es verlangte, den Platz auszufüllen, den man in der Gesellschaft einnahm. Li-gemäßes Verhalten ist deshalb die Voraussetzung für die Ordnung im Soziokosmos. Es bedeutet auch, keinen Bruch zwischen der Vergangenheit und der Gegenwart zuzulassen, es ist der Ausdruck eines kultivierten Menschseins. „Der Edle ist mit seinen Pflichten vertraut, der Gemeine sieht nur den eigenen Vorteil.“

Für Konfuzius und den Konfuzianismus war die Stellung des einzelnen vom Grade seiner moralischen Vollkommenheit abhängig. Wie später für Nikolaus von Kues sollten nicht Geburt und Blutsverwandtschaft, sondern Moral und Lebensweise den Rang bestimmen. Zusätzlich sollte sich ein jeder durch die Aneignung von „Wissen“ moralisch vervollkommnen.

Die moralische Qualität ren, die Mitmenschlichkeit oder „Liebe zu den Menschen“, definiert eine ganze Skala von Verhaltensweisen. Ren und li verpflichten die Regierenden auch, sich um das Wohl des Volkes zu sorgen. Konfuzius forderte, daß Moral und Macht eine Einheit bilden. Diese Gedanken, die hier nur skizziert werden können, lassen Konfuzius einen der ersten Plätze in der Geschichte des humanistischen Denkens einnehmen.

Mencius, der etwa 100 Jahre nach Konfuzius geboren wurde und dessen Ideen weiterentwickelte, führte vor allem den Kampf gegen die Ideologie des Mo-zi (Micius) und den nach ihm benannten Mohismus: die Vorstellung, daß ein jeder nur versuchen möge, nach größtmöglichem Eigennutz zu streben – was zwangsläufig zu Lasten anderer gehen muß. Mencius ist der Meinung, daß die Orientierung auf den Nutzen die Einheit der Gesellschaft verhindere. Mencius war zutiefst davon überzeugt, daß die Welt nur auf Grundlage konfuzianischer Werte in Ordnung gebracht werden könne. Wie das seines Lehrers war auch Mencius‘ Denken von tiefem Kulturoptimismus getragen: Das Wesen des Menschen ist gut, deshalb kann also auch die Welt gut werden.

Es besteht kein Zweifel, daß es in China eine wirkliche Elite gibt, die auf der Grundlage dieser Philosophie über die Probleme nachdenkt, denen die Welt heute gegenübersteht. Ausgehend von der konfuzianischen und neokonfuzianischen Denkweise werden sowohl die eigene Geschichte als auch die Probleme der Welt betrachtet. So bietet Mencius‘ Ablehnung des Mohismus durchaus einen Ansatz gegen die negativen Auswirkungen des neoliberalen Freihandelssystems und der damit verknüpften Amoral.

Vertreter dieser Elite sind überzeugt, daß eine Gesellschaft, in der jeder nur materiellen Werten nachjagt und seinen persönlichen Vorteil sucht, die Kontrolle über die Zivilisation verlieren wird. Was soll der Sinn der Zivilisation im nächsten Jahrhundert sein? – so fragt man in China. Wenn sich die gegenwärtig im Westen vorherrschende Philosophie weltweit ausbreite, stürze die Menschheit in eine Katastrophe.

Es gibt deshalb Ansätze, etwa das Verständnis vom Begriff des Reichtums vom Standpunkt des Gemeinwohls neu zu bestimmen und ein neues internationales Rechtssystem und ein neues parlamentarisches System auf dieser Grundlage zu entwickeln. Vertreter dieser Elite sind davon überzeugt, daß dringend etwas getan werden muß, um den gegenwärtigen Lauf der Welt zu verändern. Es müsse eine neue Zivilisation geschaffen werden, in der ein wirklicher Dialog zwischen den Kulturen des Westens und Ostens zum wechselseitigen Nutzen stattfinden könne. China ist bereit, den ganzen Reichtum seiner alten klassischen Kultur, wozu nicht zuletzt die für die Gesellschaft so wichtige Schönheit seiner Kunst gehört, in diesen Dialog einzubringen.

Diese zweite China-Reise nach 25 Jahren gehört zu meinen wichtigsten und tiefgehendsten Erfahrungen. Schiller und Leibniz gäben mir recht, wenn ich sage: „Wenn die Sache der Menschheit also in China vorangebracht werden soll: So sei es denn!“