Editorial

Vor einigen Jahren gab der Astronaut Reinhold Furrer, der später bei einem tragischen Flugzeugunfall ums Leben kam, Ibykus ein Interview, in welchem er sich kritisch mit der wachsenden Wissenschaftsfeindlichkeit in Deutschland auseinandersetzte. Furrer sagte damals über das Ethos des Wissenschaftlers:

„Ein Astronaut verkörpert eine tiefe menschliche Qualität. Und zwar in einem Bereich, wo die menschliche Neugierde immer größer war als das damit verbundene Risiko. Diese Kombination, diese Neugierde, die nicht gestoppt werden kann, und die Gefahr, die man dabei auf sich nimmt, ist etwas zutiefst Menschliches. Und dies in einer Zeit, wo es nicht mehr besonders populär ist, wenn nicht gar mißbilligt wird, zu sagen, ich mache dieses oder jenes, einfach weil es interessant, weil es wissenschaftlich vielversprechend ist. Stattdessen muß man erst einmal nachweisen, noch bevor die dafür notwendige Erkenntnis gewonnen ist, ob das Ganze wirtschaftlich ist.“

Man betrachte die Wissenschaft nicht mehr als „Kulturgut“, bei der Forschung stehe nicht mehr die Wahrheitsfindung im Mittelpunkt, vielmehr würden die Forscher von den Journalisten wie „Hofnarren“ in Talkshows und anderen Medienspektakeln vorgeführt. Nichts wirke sich fataler auf die Forschung aus, als wenn diese kommerziellem Profitdenken untergeordnet und die Forscher angehalten würden, möglichst schnell Ergebnisse zu produzieren: „Ich halte es für kurzsichtig und historisch an vielen Beispielen widerlegt, wenn man anstatt sich den wirklichen und kulturellen Fragen zu stellen, ständig über den wissenschaftlichen spinoff redet und davon zum Beispiel die Raumfahrt abhängig zu machen sucht.“

Reinhold Furrers Kommentar gewinnt heute vor dem Hintergrund der Pathfinder-Mission auf dem Mars und den dramatischen Ereignissen auf der russischen Raumstation Mir wieder an Bedeutung. Millionen Menschen auf der ganzen Welt nahmen begeistert Anteil an diesen Pionierexpeditionen, die ein neues Kapitel in der Raumfahrt markieren und uns ganz neue Einblicke in die Entwicklungsgeschichte unseres Universums geben können. Vor aller Welt wurde demonstriert, was es heißt, mithilfe der schöpferischen Erfindungskraft des Menschen die Grenzen des Wissens zu überwinden und neue Horizonte des Wissens aufzutun.

Ähnlich wie Reinhold Furrer hatte der bedeutende Raumfahrtforscher Krafft Ehricke Mitte der 80er Jahre auf einer Konferenz des Schiller-Instituts in den USA vom „moralischen Imperativ zur Besiedlung des Sonnensystems“ gesprochen: Gerade weil tagtäglich die Probleme der Armut, Unterentwicklung und Ausbeute ganzer Kontinente immer augenfälliger würden, sei es umso wichtiger für die Menschheit, den Blick in die Zukunft zu richten und die Entwicklung der Raumfahrt und die Besiedlung des Weltraums energisch in Angriff zu nehmen.

Beide Forscher wiesen – ähnlich wie auch jüngst der NASA-Wissenschaftler Jesco von Puttkamer in Berlin – auf ein entscheidendes geistiges und kulturelles Problem in unserem Land hin: Ein an Profit und Karriere orientiertes Brotgelehrtentum ist zusammen mit einer erheblichen Dosis Kulturpessimismus und Misanthropie in Deutschland an die Stelle wissenschaftlicher Neugierde und leidenschaftlicher Suche nach Wahrheit getreten.

Genau dieses Problem brachte Friedrich Schiller in seiner berühmten Jenaer Antrittsvorlesung von 1789 Was heißt und zu welchem Ende studiert man Universalgeschichte auf den Begriff, in der er den Unterschied zwischen dem Brotgelehrten und dem „philosophischen Kopf“ erläuterte:

„Anders ist der Studierplan, den sich der Brotgelehrte, anders derjenige, den der philosophische Kopf sich vorzeichnet. Jener, dem es bei seinem Fleiß einzig und allein darum zu tun ist, die Bedingungen zu erfüllen, unter denen er zu einem Amte fähig und der Vorteile desselben teilhaftig werden kann, der nur darum die Kräfte seines Gehirns in Bewegung setzt, um dadurch seinen sinnlichen Zustand zu verbessern und eine kleinliche Ruhmsucht zu befriedigen, ein solcher wird beim Eintritt in seine akademische Laufbahn keine wichtigere Angelegenheit haben, als die Wissenschaften, die er ,Brotstudien‘ nennt, von allen übrigen, die den Geist nur als Geist vergnügen, auf das sorgfältigste abzusondern. (…)

Hat er seinen Kursus durchlaufen und das Ziel seiner Wünsche erreicht, so entläßt er seine Führerinnen – denn wozu noch weiter sich bemühen? Seine größte Angelegenheit ist jetzt, die zusammengehäuften Gedächtnisschätze zur Schau zu tragen und ja zu verhüten, daß sie in ihrem Werte nicht sinken. Jede Erweiterung der Brotwissenschaft beunruhigt ihn, weil sie ihm neue Arbeit zusendet oder die vergangene unnütz macht, denn sie zerbricht die alte Schulform, die er sich so mühsam zu eigen machte. (…)

Wer hält den Fortgang nützlicher Revolutionen im Reich des Wissens mehr auf, als eben diese (Brotgelehrten)? Jedes Licht, das durch ein glückliches Genie, in welcher Wissenschaft es sei, angezündet wird, macht ihre Dürftigkeit sichtbar; sie fechten mit Erbitterung und Heimtücke, mit Verzweiflung und, weil sie bei dem Schulsystem, das sie verteidigen, zugleich für ihr ganzes Dasein fechten. Darum kein unversöhnlicherer Feind, kein neidischerer Amtsgehilfe, kein bereitwilligerer Ketzermacher als der Brotgelehrte.“

Die vorliegende Ibykus-Ausgabe setzt sich kritisch mit dem in der Empirie und deduktiven Methode befangenen Denken heutiger Brotgelehrten auseinander. Anhand der Beiträge von Lyndon LaRouche und von Dino de Paoli zeigen wir auf, daß es die von Leibniz und Riemann weiterentwickelte platonische Methode der „Hypothesenbildung“ war, welche diese Wissenschaftler dazu brachte, die falschen „Annahmen“ der führenden Brotgelehrten ihrer Zeit nachzuweisen und an ihrer Stelle neue Hypothesen zu formulieren, die zu bahnbrechenden wissenschaftlichen Entdeckungen führten.

Im Gegensatz zur platonischen Denkmethode steht die materialistische Evolutionstheorie des „Brotgelehrten“ und Ideologen Charles Darwin, der sich, vor allem in England, wieder zunehmender Beliebtheit erfreut. Seine Evolutionstheorie beruhte auf dem mechanistischen Weltbild Isaac Newtons, der Raum und Zeit als a priori gegebene Größen ansah und die Existenz neuer schöpferischer Hypothesen ausschloß. Als radikaler Materialist negierte Darwin die schöpferische Fähigkeit, die Gottesebenbildlichkeit des Menschen und erklärte, der Mensch sei nicht Mittelpunkt der Schöpfung, sondern ein Parasit der Natur. Nur die starken Rassen würden sich beim Kampf ums Überleben durchsetzen.

Darwins Evolutionstheorie zum Trotz zeigt die Menschheitsgeschichte, daß die Evolution der menschlichen Gattung sich nicht im biologistischen Überlebenskampf vollzog, sondern in Revolutionen des Denkens und bahnbrechenden neuen wissenschaftlichen Entdeckungen. Jede dieser „Ideenrevolutionen“ war die Lösung eines Problems, welches die Grenzen der überliefertem Denkmethode ausdrückte. Durch „Antizipieren“ einer Hypothese im Geiste, die alsdann auf dem Wege eines Experiments getestet wird, schafft sich der Mensch neue Instrumente des Messens und überschreitet die Grenzen des Wissens.

In unzähligen Schriften hat sich Gottfried Leibniz mit dieser „Ideenbildung“ auseinandergesetzt. In dem kurzen Essay Was ist eine Idee? schrieb er:

„Mit der Bezeichnung ,Idee‘ meinen wir zunächst ,etwas, was in unserem Bewußtsein‘ ist; Spuren von Eindrücken in unserem Gehirn sind keine Ideen, denn ich nehme als gewiß an, daß das Bewußtsein etwas anderes als das Gehirn oder ein subtiler Teil des Gehirns ist. Nun gibt es aber viele Dinge in unserem Bewußtsein wie zum Beispiel Meinungen, Perzeptionen, Gefühle, von denen wir sicher wissen, daß sie keine Ideen sind, wenngleich sie auch ohne Ideen nicht entstehen können. Die Idee besteht für mich nicht in einem bestimmten Akt des Denkens, sondern in einem ,Vermögen‘, so daß wir die Idee eines Dinges haben können, selbst wenn wir nicht wirklich darüber nachdenken, doch bei gegebener Gelegenheit darüber nachdenken können. Jedoch zeigt sich hier eine gewisse Schwierigkeit, denn wir besitzen die Fähigkeit, über entlegene Dinge nachzudenken, von denen wir vielleicht gar keine Idee haben, da wir nämlich die Fähigkeit haben, uns ihrer zu erinnern; deshalb verlangt eine Idee ein gewisses Vermögen, naheliegende Dinge denkend zu begreifen.

Doch auch dies genügt noch nicht, denn wer eine Methode hat, der er folgt, um ein Ding zu verstehen, hat deshalb noch nicht dessen Idee. Wenn ich zum Beispiel nacheinander alle Kegelschnitte betrachte, gelange ich zwangsläufig zu einem Paar von Hyperbeln, wo ich noch gar keine Idee von ihnen habe. Es muß somit etwas in mir sein, das nicht nur zu dem Ding hinführt, sondern es auch ausdrückt.

Die Ausdrucksweise muß Beschaffenheiten enthalten, die den Beschaffenheiten des auszudrückenden Dinges entsprechen. Diese Ausdrucksweisen aber sind unterschiedlich, so drückt zum Beispiel das Modell einer Maschine die Maschine selbst aus, eine perspektivische Umrißzeichnung drückt einen Körper aus, eine Reihe drückt Gedanken und Wahrheiten aus, Zeichen drücken Zahlen aus, eine algebraische Gleichung drückt einen Kreis oder eine andere Figur aus, und weil diese Ausdrucksweisen etwas gemein haben mit der Beschaffenheit des ausgedrückten Dinges, können wir zum Wissen um die Eigenschaften der ausgedrückten Dinge gelangen. Woraus folgt, daß das, was etwas ausdrückt, nicht notwendig von gleicher Art wie das Ausgedrückte sein muß, sofern nur eine gewisse Ähnlichkeit zwischen beiden gegeben ist. (…)

Somit ist die Idee der Dinge, die in uns sind, ausschließlich der Tatsache zuzuschreiben, daß Gott, der Schöpfer sowohl der Dinge als auch des Bewußtseins, unserem Bewußtsein die Fähigkeit verliehen hat, aus seiner eigenen Tätigkeit das herzuleiten, was in allem dem, was in den Dingen ist, entspricht. Wenn aber auch die Idee des Kreises nicht genau dem Kreise gleicht, so können wir doch von der Idee auf Wahrheiten schließen, welche die Erfahrung hinsichtlich des wirklichen Kreises unzweifelhaft bestätigen würde.“