Der CCF und der Kampf um die Narrative

Die Weltordnung, wie wir sie seit Ende des Zweiten Weltkrieges kennen, befindet sich in der Auflösung. Wer jetzt versucht, diesen Prozeß aus einer strikt europäischen Perspektive – also einer eurozentristischen Sicht – zu betrachten, läuft Gefahr, in Schablonen zu denken, die weniger dem sich in der Realität abspielenden historischen Prozeß gerecht wird als vielmehr der Sichtweise, die die vermeintliche Interessenlage „des Westens“ ausdrückt.

Wenn man den Ausführungen der meisten Mainstream-Medien, Thinktanks oder „Experten“ folgt, dann befindet sich die Welt in einem Systemwettbewerb zwischen den „westlichen liberalen Demokratien“ samt ihrer „regelbasierten Ordnung“ und den „Autokratien“, die die westlichen Werte ablehnen und diese durch ein neues System ersetzen wollen. Diese Autokraten und Diktatoren bedrohen nach dieser Lesart unsere Freiheit, weil sie wahlweise LBGT, Gendern, Hiphop, Drogen, oder Internetabhängigkeit bei Jugendlichen durch Gesetze in ihren Ländern zu unterbinden suchen.

Als Präsident Biden nach dem Gipfeltreffen mit Xi Jingping im November 2023 in San Francisco gefragt wurde, ob er den chinesischen Präsidenten immer noch für einen Diktator halte, antwortete er: „Er ist ein Diktator in dem Sinne, daß er ein Land regiert, das auf einer völlig anderen Regierungsform als unsere basiert“. China verurteilte diese Bemerkung als unangemessene Provokation, doch Präsident Biden demonstrierte damit erneut, daß das westliche Establishment seine eigene Propaganda vom „Ende der Geschichte“, also dem weltweiten Siegeszug des westlichen Demokratie-Modells, offensichtlich so sehr verinnerlicht hat, daß es in einer bemerkenswerten Arroganz die Existenzberechtigung anderer Kulturen mit fünftausend Jahren alter Geschichte einfach mal so wegwischt und den Staatschef des bevölkerungsreichsten Staates der Welt als Diktator tituliert.

Tatsächlich erleben wir derzeit einen Epochenwandel, in dem die Ära der Kolonialzeit, die etwa um 1500 n. Chr. begann und die Länder des Globalen Südens rund 600 Jahre lang unterjochte, zu Ende geht. Die hoffnungsvolle Perspektive, die mit der ersten asiatisch-afrikanischen Konferenz in Bandung, Indonesien, im April 1955 von den Präsidenten Sukarno und Nehru machtvoll auf die Tagesordnung gesetzt wurde, beginnt sich durchzusetzen. Heute machen die sogenannten Entwicklungsländer ihr Recht auf vollständige souveräne Entwicklung geltend, die lange durch die Kolonialherrschaft und dann durch den Neokolonialismus der vom Westen dominierten Konditionalitäten des Weltwirtschafts- und Finanzsystems unterdrückt wurde. Dieser Durchbruch ist vor allem dem sensationellen Wirtschaftswunder Chinas zu verdanken, das es dem Land ermöglichte, 850 Millionen seiner eigenen Bürger aus der Armut zu befreien. In den letzten zehn Jahren hat China dann den Nationen des Globalen Südens mit der Seidenstraßen-Initiative die Möglichkeit gegeben, Armut und Unterentwicklung in ihren Ländern zu überwinden.

In den meisten Staaten Afrikas, Asiens und Lateinamerikas hat im letzten Jahrzehnt eine Transformation stattgefunden, die eigentlich alle Menschen begrüßen sollten, denen das Wohl dieser Länder am Herzen liegt. Die politischen Führungen in diesen Nationen drücken ein völlig neues Selbstbewußtsein aus. Sie sind nicht länger gewillt, die aus einem Kolonialherren-Bewußtsein herrührende Arroganz seitens des Westens hinzunehmen. Sie machen deutlich, daß sie auf ihrem Recht bestehen, nicht länger Rohstoffexporteure zu sein, sondern die Wertschöpfung in ihrem eigenen Land zu realisieren und damit sehr bald zu Ländern mit mittlerem Einkommen zu werden.

Anstatt die Konditionalitäten der unipolaren Welt zu akzeptieren, schaffen sich diese Staaten mit den BRICS+, der SCO, der EEAU, ASEAN, usw. eigene Institutionen, die ihre souveränen Interessen wahrnehmen. Als Reaktion auf die Instrumentalisierung des Dollars als geopolitische Waffe, wie es durch die Konfiszierung ausländischer Dollarvermögen in amerikanischen Banken praktiziert wird, sind diese Staaten dabei, ihren Handel zu „entdollarisieren“, d. h. in den eigenen Währungen abzuwickeln sowie eine neue Reservewährung zu schaffen.

Wenn man sich auf den Standpunkt der Universalgeschichte stellt, müßte einen diese Entwicklung eigentlich mit Freude erfüllen, denn es kann ja wohl nicht sein, daß rund die Hälfte der Menschheit in permanenter Armut verbleiben und es nur vielleicht zehn Prozent gut gehen soll.

Der eurozentristische Standpunkt verstellt allerdings den Blick auf diese Realität. Das wahrscheinlich krasseste Beispiel für diese Denkart lieferte der EU-Außenbeauftrage Josep Borrell bei einer Rede in der Europäischen Diplomatischen Akademie in Brügge, als er sagte, Europa sei ein Garten, in dem alles wunderbar funktioniere. „Der größte Teil der restlichen Welt ist ein Dschungel, und der Dschungel könnte in den Garten eindringen“, so Borrell. Was für ein Zerrbild, ganz abgesehen davon, daß es in Europa sehr viele Menschen gibt, die keineswegs denken, daß bei uns alles wie in einem ordentlichen Schrebergarten funktioniert. Mit Borrells Äußerung hat sich die Auffassung im Globalen Süden ein weiteres Mal verstärkt, daß die Europäer sich immer noch wie die Kolonialherren fühlen.

In dem weltweiten Krieg um die Kontrolle der Narrative von den „guten“ Demokratien versus den „bösen“ Autokratien werden einige Staaten des globalen Südens schnell einmal in die zweite Kategorie aussortiert, wenn sie sich zum Beispiel weigern, an vom Westen organisierten Demokratie-Gipfeln teilzunehmen.

Ob es Josep Borrell bewußt ist oder nicht, seine Aufteilung der Welt in einen europäischen „Garten“ und den Rest der Welt in einen „Dschungel“ entspricht der rassistischen weißen Rechtsauffassung, wie sie sich zwischen der Mitte des 17. Jahrhunderts und dem Ende des 19. Jahrhunderts entwickelt hat. Danach besaßen nur die „zivilisierten Staaten“ (in der Definition des westlichen Liberalismus) wirkliche Souveränität, deren Grenzen respektiert werden müßten. Daraus folgte, daß die staatsähnlichen Gebilde Afrikas und Asiens als „nicht vollständig souverän betrachtet wurden und deshalb nicht zu gleichen Bedingungen im internationalen System und an der Definition des internationalen Rechts teilnehmen konnten.“

Die Bandung-Konferenz von 1955 unter der Führung von Sukarno und Nehru war eine beeindruckende Demonstration des Willens, die Souveränität der Entwicklungsländer zu behaupten, was schließlich zur Gründung der Blockfreien Bewegung führte. 1976 verabschiedete diese Bewegung bei ihrer Konferenz in Colombo, Sri Lanka, eine Resolution mit der Forderung nach einer neuen gerechten Weltwirtschaftsordnung, in die der Vorschlag von Lyndon LaRouche eingeflossen war, den IWF durch eine Internationale Entwicklungsbank zu ersetzen. Die Reaktion des Westens und der von ihm kontrollierten Finanzinstitutionen war wild: die Regierungen aller Länder dieser Bewegung wurden durch Regimewechsel destabilisiert, und der pakistanische Präsident Ali Bhutto sogar ermordet.

Jetzt liegt das Momentum wieder bei den Nationen des Globalen Südens, den Neokolonialismus endgültig zu überwinden, was allerdings bei der Bevölkerung des Globalen Nordens auf ein weitgehendes Unverständnis stößt, was es den Mainstream-Medien relativ leicht macht, aktuelle Entwicklungen in den Staaten des Globalen Südens in die Narrative der „guten Demokratien“ versus den „schlechten Autokratien“ zu pressen.

Es ist hilfreich, sich den Unterschied zwischen der Betrachtung von Tagesereignissen und der rückwärts blickenden Aufarbeitung geschichtlicher Prozesse vor Augen zu führen. In den Tagesmedien erscheinen die Dinge oft plakativ, während sich die gleichen Tatbestände aus historischer Perspektive sehr viel komplexer darstellen. Die Rolle der Diplomatie, der Geheimdienste und vieler anderer wirtschaftlicher, finanzieller oder kultureller Faktoren, die alle beim Zustandekommen desselben Ereignisses beteiligt waren, müssen berücksichtigt werden.

Alles ist erlaubt?

Es gibt wohl kaum ein umfangreicheres Projekt im Kampf um die Kontrolle der Narrativen als den Kongreß für Kulturelle Freiheit (CCF), einer weltumspannenden vielschichtigen Operation der CIA, mit dem die USA im beginnenden Kalten Krieg versuchten, den Einfluß der Sowjetunion einzudämmen. Nominell ging es darum, die vielen Intellektuellen in zahlreichen Staaten, die in der Nachkriegszeit mit der Sowjetunion sympathisierten, unter dem Vorwand der vermeintlichen freiheitlichen Kultur des Westens dem Kommunismus abspenstig zu machen. In Wirklichkeit ging es sehr viel mehr darum, der Bevölkerung Europas, Amerikas, aber auch des Entwicklungssektors, die der Kooperation Roosevelts mit der Sowjetunion positiv gegenüber gestanden hatte, eine neue Axiomatik des Denkens aufzuzwingen. Der wichtigste Aspekt dabei war die Relativierung und schließliche Ersetzung der klassischen Kultur durch alle möglichen Formen von Modernismen in Musik, Malerei und Literatur. So wollte man das Wissen um die Prinzipien der klassischen Komposition zerstören, um an deren Stelle das Prinzip „Alles ist erlaubt“ zu setzen.

Im Herbst 2017 fand im Haus der Kulturen in Berlin eine Ausstellung mit dem Titel „Parapolitik“ statt, in der ein breites Sortiment an Dokumenten, Magazinen und Foto-Materialien gezeigt wurden, die einen guten Eindruck von den umfangreichen Projekten des CCF auf allen Kontinenten vermittelte. 1966 war der CCF zwar als Projekt der CIA dank einer Reihe von Artikeln in der New York Times aufgeflogen, aber die Methoden der Kooptierung und Korrumpierung von praktisch allen Bereichen des öffentlichen und kulturellen Lebens wurde mit der Förderung von NGOs und Stiftungen aller Art beibehalten.

Im Ausstellungskatalog wird in einem Artikel von Barnor Hesse, Professor für afrikanisch-amerikanische Studien an der Northwestern University in Illinois, beschrieben, was unter dem Begriff „Parapolitik“ zu verstehen ist: „Parapolitik bedeutet das Unterminieren, Diskreditieren, Verzerren und Destabilisieren der politischen Opposition durch Dissidenz, durch Geheimdienst-Operationen, Propaganda, Aufstandsbekämpfung außerhalb des Rechtsraums und immer mit der Möglichkeit der Leugnung jeglicher Verantwortlichkeit.“

Es ist frappierend festzustellen, daß dieselbe Terminologie, die vom CCF und der Truman- Administration gegenüber der Sowjetunion benutzt wurde, so gut wie identisch ist mit dem, was heute über Rußland, China und andere sogenannte autokratische Regime gesagt wird. In der Truman-Doktrin heißt es:

„Eines der prinzipiellen Ziele der Außenpolitik der USA ist die Schaffung von Bedingungen, in denen wir und andere Nationen in der Lage sind, einen Lebensstil frei von Zwang zu verwirklichen. Das war das wesentliche Thema für den Krieg gegen Deutschland und Japan. Unser Sieg wurde über Staaten gewonnen, die ihren Willen und ihre Art zu leben anderen Nationen aufzwingen wollten.“

Der CCF verfügte damals über ein erstaunlich umfangreiches Netzwerk von Intellektuellen, Künstlern und Berufsvertretern aller Art, die mit unzähligen Foren, Konferenzen, Konzerten, Ausstellungen etc. versuchten, die liberale Idee von Freiheit zu propagieren. Es gab damals Hunderte, wenn nicht Tausende angesehener prominenter Intellektueller und Künstler, die sich an diesen Kampagnen beteiligten, ohne bis zur Aufdeckung des CCF auch nur die geringste Idee zu haben, wovon sie ein Teil waren.

Während sich Truman die Rooseveltschen Lorbeeren vereinnahmte, daß die USA und andere Nationen gemeinsam mit der Sowjetunion den Sieg über den Nationalsozialismus errungen hatten, begann der von der Truman-Administration initiierte CCF sofort damit, die Methoden der Parapolitik anzuwenden, nämlich möglichst alle Staaten im Kalten Krieg auf die Seite der USA zu ziehen. Daran hat sich bis heute nichts geändert.

Denn was waren die Interventionskriege seit dem Nato-Krieg gegen Afghanistan, Irak, Libyen oder Syrien anderes, als die „westliche Demokratie“ Nationen aufzuzwingen, die einem völlig anderen Kulturkreis angehören? Und wenn China, Rußland oder afrikanische Staaten heute die jüngsten Ausformungen der neoliberalen „Werte“ ablehnen, weil sie nicht ihren kulturellen Traditionen entsprechen, dann ist das ihr gutes Recht.

Die Nationen des Globalen Südens schaffen sich deshalb neue Institutionen wie die BRICS+, weil sie zu den fünf Prinzipien der friedlichen Koexistenz und der UN-Charta zurückkehren wollen. Sie wollen die Anerkennung ihrer vollen Souveränität, sie wollen keine Einmischungen in ihre inneren Angelegenheiten und sie verlangen Respekt für das soziale System, das ihrer kulturellen Tradition entspricht. Wenn wir, die Staaten des sogenannten Globalen Nordens, den Weg zu einem neuen Paradigma in den internationalen Beziehungen finden wollen, dann sollten wir das akzeptieren und auch auf uns selber anwenden.

Ein Hauptzweck des CCF gegenüber Deutschland hatte ja gerade darin bestanden, uns den Weg zu unserer klassischen Kultur, zu Bach, Mozart, Schubert, Beethoven, zu Lessing und Schiller zu verbauen und damit zu den Ideen, die das höchste Ideal des Menschen repräsentieren, die unsere Kultur hervorgebracht hat. Es ist höchste Zeit, daß auch wir uns von den Fesseln des Neokolonialismus befreien und als souveräne Nation an der neu entstehenden Weltordnung teilhaben.

HZL


Dort und hier

Verwunschen, an geheimem Ort,
ein Garten blüht mir, – wie im Traum –,
ein Meer von Blumen winkt von dort,
verweben sich mit Zeit und Raum.
Verzaubert von dem linden Duft,
öffnet sich die Seele weit,
und es entschwebt zur blauen Luft,
die Ahnung von Glückseligkeit.

Träumerin! Auf Erden herrscht die Macht!
Wo Aphrodite einst dem Meer entstieg,
gehen Boote unter in der Nacht,
und die Gärten sind zerstört vom Krieg.
Kinder siechen hinter Natodrähten,
Freund oder Feind; es gibt kein Grau,
was nur zählt sind die Raketen,
die drohen mit dem Supergau!

Und doch! Der Garten, der ist wahr,
oft hab ich mich hierher verirrt.
Hier keimten Pläne, wunderbar,
durchbrachen Schranken,die mich beirrt.
Das Ideal der schönen Seele,
hier prangte es vor meinem Geist
und Schönheit ward zu dem Befehle,
der meines Lebens Richtung weist.

Aus Dschungel sich Lianen schlingen,
und winden sich um jeden Baum.
Verderbnis nur und Tod sie bringen,
und werden zu der Menschen Alptraum.
Doch sie sind die Frucht der Macht,
die noch auf dieser Erde waltet,
Helfer Satans und der Nacht,
die der Menschheit Einheit spaltet.

Was ich als Kind im Traum gesehen,
der schönen Blumen weites Meer,
des Gärtners Kunst lässt es entstehen,
als ob Prometheus nahe wär.
Der Plan im Herzen ausgeprägt,
vereint uns mit den Kampfgefährten,
schafft, nach diesem Bilde angelegt,
den Garten von Millionen Gärten.

Helga Zepp-LaRouche, 2023.